Das verlassene Buch

Morgens inner Bahn. Ich nehme Platz und falte meine Zeitung auf. Schräg gegenüber sitzt eine beleibtere Frau. Ein Teil ihres Hinterteils hat sie auf einen alten Schinken platziert. Man möchte fast aufschreien und das Buch unter ihrer Last hervor ziehen. Ich lasse es und lese. Im Augenwinkel fällt mein Blick immer wieder auf den grauen Einband. Warum hat sie ihr Buch rausgeholt, wenn sie es nur müde neben sich legt und schonungslos draufsetzt?

Je länger ich fahre, desto mehr verstehe ich. Es ist gar nicht ihr Buch. Als Zierde dient es nicht gerade. Auch kann man den Titel nicht erkennen, der nur klein in blau verewigt wurde. Wahrscheinlich war die Bahn voll, als sie kam und sie setzte sich. Verschlang mit ihrem Hintern das Buch und presste es so tief in den Sitz. Der eigentliche Besitzer war da schon lange verschwunden und hatte das Werk für die bahnfahrende Menschheit hinterlassen.

Einige Stationen vor meinem Ausstieg entschwindet die Frau und alle anderen Fahrgäste aus meinem Umfeld. Zurück bleibt nur das graue Buch. Traurig blickt es drein und schreit zu mir herüber. Ich beuge mich heimlich vor. Werfe einen verstohlenen Blick hinüber. Entziffere “Michael Burk – Keine Stunde ist zu viel*”.

Ich überlege kurz, greife aber nicht zu. Miste zu Hause eh gerade Bücher aus. Würde sie aber nicht so einsam in der Bahn liegen lassen. Verschwinde und hoffe, dass das Buch einen neuen Besitzer findet, der die Seiten wertschätzt.

 

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