Heute morgen las ich einen älteren Beitrag aus einer älteren Ausgabe von „11 Freunde“ und wurde schlagartig in meine Vergangenheit gerissen. Bei „25 Verschwörungstheorien“ stand eine Begebenheit aus Ecuador, wo ein Schiedsrichter ein Spiel 20 Minuten nachspielen ließ.
Zack, da war ich wieder und um meine Seelenheil zu befreien, erzähle ich nun eine Geschichte, die ich bisher noch nie jemandem erzählt habe.
Vor geschätzten fünfzehn Jahren war es, ich war noch ein Junge und nachmittags sowie am Wochenende eigentlich immer auf dem Fußballplatz zu finden. Ein harter Grandbelag oder ein sandiges Geläuf. Nichts für Techniker. Umso mehr für mich, den Grobmotoriker, der den Ball nur selten mehr als drei Mal in der Luft halten konnte. Übersteiger und sonstige Tricks blieben mir verwehrt und hätten nur zu noch böserem Unheil geführt. Aber dank einer enormen Schnelligkeit, Größe (damals war es noch so) und Robustheit (siehe Klammer zuvor) war ich ein idealer Abwehrspieler.
Stürmten die kleinen Dribbler auf mich zu, blieb ich stehen. Ich konnte kaum was anderes. Sie rannten auf mich zu, sahen den Riesen, bekamen es mit der Angst zu tun und verzettelten sich, so dass ich nur noch mit dem rechten Fuß ausholen musste und schon sprangen die zartbeseiteten Techniker beiseite und ich hatte den Ball. Behielt doch mal jemand de Ruhe und zog an mir vorbei, holte ich ihn dank meines Antritts recht schnell wieder ein, setzte meinen Körper ein und hatte das Leder.
Über den Flügel ging es dann schnell nach vorne, einfach Ball zehn Meter spielen und rennen.
Nur manchmal, das geb ich zu, war ich in Zweikämpfen etwas übermotiviert oder tollpatschig. Es krachte, das Geschrei war groß, aber ich hatte das Tor verhindert. Zumindest steckten mich dann einige Teams dann lieber in den Kasten, wo ich dank Größe und schnellen Händen das ein oder andere Tor verhinderte.
Bitter wurde es jedoch, wenn die Kleenen mal schnellen, technischen Fußball spielen wollten und das professionell aussehen sollte. Ein Schiedsrichter musste her. Naja, ich wurde nicht in die Mannschaft gewählt und bekam also selbstgebastelte Karten und eine Pfeife.
Anpfiff.
Mit Autorität und Arroganz hatte ich die Jungs im Griff. Wer mir blöd kam, wurde vom Platz verwiesen. Oft aus gekränkter Eitelkeit. Aber das war schnell klar und so blieb es in der Regel immer sehr friedlich. Keine Wiederworte.
Wie eines samstags, als sich das ganze Viertel immer auf dem Platz versammelte und auf den vier Plätzen munter kickte. Beim Topspiel des Tages behielt ich die unparteiische Leitung. Ein schönes Spiel entwickelte sich. Muntere Kombinationen und schöne Tore. Ich war anscheinend schon damals mehr Fan als Schiedsrichter.
Denn irgendwann kamen zwei Gegner zu mir und keuchten: „Andre, intensives Spiel. Sag mal, wie lang ist denn noch. Uns kommt das schon so ewig vor heute.“
Schrecksekunde. Nur nichts anmerken lassen.
Natürlich hatte ich die Uhr komplett aus den Augen verloren. Ich hatte nichtmal geguckt, wann ich überhaupt angepfiffen hatte. Aber sie hatten recht. Es war schon viel zu lange. Nur nichts anmerken lassen. Ich blieb cool. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr: „Noch zwei Minuten, kommt Endspurt.“
Nach einer Minute pfiff ich ab. Die Spieler ließen sich völlig entkräftet fallen. Jaja, es war ein heißer Tag heute. Ich blickte nochmal genauer auf die Uhr und versuchte den Anpfiff zu rekonstruieren. Wann bin ich raus zu Hause, wie lange haben wir vorher rumgedattelt. Wie spät ist es jetzt eigentlich. Ich konnte es nicht ganz genau sagen, aber diese Halbzeit dauerte bestimmt knapp zwei Stunden. Dabei hatte ich doch pünktich abgepfiffen 😉
Zweite Halbzeit. Diesmal stoppte ich mit und pfiff rechtzeitig ab.
Danach kamen die beiden Spieler wieder zu mir. „Komisch, die zweite Halbzeit kam mir viel kürzer vor.“ Ich blickte sie nur verdutzt an, zog die Schultern hoch und entgegnete: „Hmm, komisch, bei mir war alles normal. Aber manchmal ist das ja so.“
Es sollte mein letzten Spiel sein, dass ich gepfiffen habe. Den Grund dafür habe ich nie verraten. Bis heute.