Kurzgeschichte: Der Untergang der Unterwelt

Das würde alles verändern.
Wenn es soweit kommt, wäre das Ende nah.
Es muss verhindert werden.
Im schummrigen Licht der selbst gezogenen Kerze sitzt er auf dem kalten Steinboden. Die Knie ganz nah an den Körper gezogen. Die Arme halten sie wie Fesseln. Muskeln spannen und durchziehen den Körper mit leichten Schmerzen. Ein kühler Wind piekt die Haut. Das ständig Knarzen und Knarren hat sich in den Ohren festgebissen.
Ein Schweißtropfen krabbelt den Körper runter. Die Angst schnürt ihm die Kehle zu. Sollte es wirklich so enden? Es hatte alles so gut ausgesehen. Niemand hatte ihn gestört und es konnte es sich hier unten gemütlich machen. Nun schlägt das Alter unnachahmlich zu. Es erschüttert nicht nur das Gebäude in seinen Grundfesten. Es ist ein Erdbeben für sein Leben. Das hier und jetzt.
Während die Erde unter ihm weg gezogen wird, kracht die Welt über ihn ein. Nie fühlte er sich so gefangen. Er wird eng und enger. Steine drücken auf seinen Brustkorb. Sein Leben. Es bricht in sich zusammen.
Noch vor Jahren oder waren es gar Jahrzehnte – er hat das Zeitgefühl in der Dunkelheit vollkommen verloren – war er ziellos in Elmshorn umher gestreunt. Er war mal hier und mal dort. Aber am Ende auch nirgends. Er weiß schon gar nicht mehr, wann er sich das erste Mal in die Knechtschen Hallen geschlichen hatte. Irgendwann im Schutz der Dunkelheit war er durch eine Öffnung ins Innere gelangt.
Wie ein Paradies hatte es sich angefühlt. Trotz der Rastlosen, die mit ihm das neue vorläufige Heim bevölkerten. Die Hallen waren groß genug, um Ruhe zu finden. Vor allem war es aber ein Dach. Erst als in ihrer kleinen Welt der Neid der Außenwelt stärker wurde und Sachen verschwanden, bröckelte die Welt das erste Mal.
In einer dieser lausigen Nächte, in denen er nicht zur Ruhe kam, hörte er dieses leise Flüstern. Die vertraute Tonlage. Die sanfte Sprache. Sie hatte sich ganz dicht an sein Ohr gelegt, er konnte ihren Atem spüren, wenn sie ruhig zu ihm kam. Sie wies in den Weg. Vorbei an den schnarchenden Dahinsiechenden und alten Brettern. Schweiß verschmolz hier mit kaltem Rauch und muffigem Holz. Er stieg über sie hinweg. Ratten liefen vor ihm weg. Oder krabbelten sie vor ihm her. Wiesen sie ihm einen Pfad. Tiefer, immer tiefer in die Hallen. Hatte er nur das Gefühl, dass es ihn tiefer hinab zog oder spielten seine Sinne ihm einen Streich.
Irgendwas war anders in dieser Nacht. Schon oft war er die Knechtschen Hallen durchschritten. Im Hellen genauso wie im Dunklen. Nun war er ihr Knecht und folgte den Anweisungen des alten Gewölbes. Je weiter er ging, desto enger wurde es. Die Weite der Halle verschwand. Die Wände kamen näher und ließen nur noch einen schmalen Gang übrig. Eine kleine Gasse, die ihn hinunter führte.
Das wurde es schwarz.
Als er aufwachte, befand er sich unter den Knechtschen Hallen. Gefangen in einer eigenen Welt. Frei wie nie zuvor. Hier war er allein. Hier war er der Herr. Der Herrscher des Knechtschen Untergrundes. Seine Regeln. Sein Zuhause.
Ein Zuhause, das jetzt sein Grab werden sollte. Das Knarzen war immer lauter geworden. Die Wände ächzten unter der altersschwachen Last. Tiefe Falten durchzogen die Steine. Durch die brüchigen Dielen kämpfte sich Licht in sein Reich. Immer öfter wachte er mit weißem Staub bedeckt auf.
Heute dann der tiefe Stich im Herz. Die Schwere auf der Brust. Ein lautes Poltern und noch mehr Licht. Sie kommen. Das Ende ist nah.
An seinem Ohr spürt er ihren Atem.
Leise flüstert sie diabolischem Ton.
Gute Nacht.

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